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Blickpunkt Mobilitätswende

2021: Endlich mehr Schritte für den Klimaschutz

Position
Berlin – 15. Dezember 2021

In die Geschichtsbücher wird das zu Ende gehende Jahr 2021 eher als das Krisenjahr 2 der Corona-Pandemie eingehen. Und sicher auch als das Jahr in dem Angela Merkel ihr Amt nach 16 Jahren an einen neuen Bundeskanzler Olaf Scholz und damit an die erste Ampelkoalition in Regierungsverantwortung im Bund übergab. Vielleicht noch nicht jetzt, sondern erst gegen Ende der Dekade mag sich aber herauskristallisieren, dass in diesem Jahr wichtige Schritte für die Mobilitätswende eingeleitet wurden. Vielleicht werden wir es in der Rückschau einmal als den verheißungsvollen Auftakt für den Klimaschutz sehen. Für das Pariser Abkommen und für den abgebremsten Temperaturanstieg.

Die letzten zwölf Monate standen in vielerlei Hinsicht abermals unter dem Diktat des Virus. Das betraf bekanntlich in hohem Maße den ÖPNV: Diverse wissenschaftliche Untersuchungen zum geringen Ansteckungsrisiko in Bussen und Bahnen konnten kaum für eine Wiederbelebung der stark rückläufigen Fahrgastzahlen sorgen. Das durch Corona geschädigte gesellschaftliche Leben – Home-Office, reduzierte Pendlerströme, Kontaktbeschränkungen – belastete und belastet zusätzlich. Der „Rettungsschirm“ von Bund und Ländern beschützt nachhaltig die schwer betroffene Branche in ihrer finanziellen Not. Das ist ein klares Bekenntnis der Politik für den öffentlichen Verkehr. Mit dem Deutschland Abo-Upgrade bewiesen die Verkehrsunternehmen dann, dass sie ihre Kundschaft mit neuen Ideen erfolgreich umwerben können.

Doch davon abgesehen regt sich seit dem zu Ende gehenden Jahr in vielen Köpfen und auf vielen Ebenen immer stärker die Erkenntnis, dass die Sorge vor der Pandemie die Sorge um den Klimaschutz keinesfalls schmälern darf. Vorsichtiger Optimismus scheint angesagt: Es wird endlich konkreter mit der Bekämpfung der Treibhausgas-Emissionen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. In der Wirtschaft, auch in der deutschen Automobil-Industrie, werden Überlegungen angestellt und Milliarden-Investitionen geplant, um Produktionsprozesse und Produkte „grün“ zu machen. Das betrifft allmählich auch den Verkehrssektor, der in puncto CO2-Ausstoß unverändert seit Jahrzehnten zu den Klimasündern zählt.

Die Einführung der Elektromobilität kommt voran, nicht zuletzt gefördert durch üppige staatliche Prämien für das private E-Auto. Doch während Fahrzeughersteller vielfach noch vom 1:1-Austausch der Verbrenner gegen Batterieantriebe zu träumen scheinen, setzt sich insbesondere in Rathäusern und Kreistagen immer mehr der Gedanke durch, dass die Innenstädte mit weniger Straßenverkehr nicht nur angenehmer und lebenswerter werden, sondern auch mehr Mobilität in anderen Formen für die Bürger ermöglichen.

Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung sind zwar Stichworte, die seit Jahrzehnten geläufig sind, doch erst im Jahr 2021 gibt es mehr Ansätze, die Verdrängung des Individualverkehrs aus den Zentren, zugunsten des Umweltverbundes von Bus und Bahn, Rad- und Fußwegen, politisch umzusetzen. Auch in Wohnquartieren wird versucht, den Individualverkehr auszubremsen. In vielen Städten werden zudem Anwohnerparkplätze künftig deutlich teurer werden – was angesichts steigender Grundstückspreise überfällig ist.

Hier zeigen sich erste konkrete Ausprägungen der Mobilitätswende. Der öffentliche Verkehr rüstet sich für neue Anforderungen, und er wird konsequent von der Politik unterstützt. Im zu Ende gehenden Jahr wurden die Finanzierungsspielräume des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, die sogenannten GVFG-Mittel, großzügig ausgeweitet. Sie stehen beispielsweise für die wachsende Beschaffung von Elektrobussen und den Ausbau von Stadtbahnsystemen zur Verfügung, selbst Seilbahnen sind daraus künftig förderfähig. Milliardenbeträge sind weiterhin für den Schienenverkehr vorgesehen; das attraktive Modell des Deutschlandtaktes hat die Politik überzeugt. Es erfordert aber erhebliche Investitionen, um die Jahrzehnte vernachlässigte Schieneninfrastruktur durchlässiger zu machen.

Mindestens ebenso wichtig: In der abgelaufenen Legislaturperiode der schwarz-roten Bundesregierung sind mit neuer Gesetzgebung die ersten baurechtlichen Voraussetzungen für die schnellere Realisierung von Projekten zum Netzausbau für Personen- und Güterverkehr geschaffen worden. Was davon in den nächsten Jahren realisiert wird, hängt einerseits von der Finanzierung ab, andererseits aber auch davon, dass solche Vorhaben zügig für einen raschen Baubeginn vorbereitet werden. Hier sind vor allem Kommunen und die kommunalen Verkehrsunternehmen gefordert.

Ob es für den Klimaschutz noch „fünf vor Zwölf” ist oder schon „zehn nach Zwölf”, wie Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts, kürzlich für die vierte Corona-Welle feststellte, wird man erst in der Rückschau in einigen Jahren beurteilen können. Das Jahr 2021 ist jedenfalls auch eins, in dem Versäumnisse der Verkehrspolitik unmissverständlich angeprangert wurden. So bescheinigte der Europäische Gerichtshof der Bundesrepublik, dass sie „offenkundig nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen” getroffen hätte, um die Stickoxid-Werte in 26 Städten auf ein europäisches Normmaß zu reduzieren. Und in einem Energiewendeprojekt des Bundesforschungsministeriums prangerten Wissenschaftler an, dass die externen Kosten des Straßenverkehrs durch Umweltzerstörungen und Unfallfolgeschäden Jahr für Jahr das Bruttosozialprodukt um bis zu 670 Milliarden Euro schmälerten und damit einen klaren „Wohlstandsverlust” darstellten. Nachhaltiges Wirtschaften – auch mit steigenden Verbrauchspreisen – würde dagegen dem Staat bis zu 500 Milliarden Euro zusätzlicher Steuereinnahmen bringen. Geld, das dann ja für die Mobilitätswende ausgegeben werden könnte.

Erschreckend ist eine Erkenntnis aus diesem Jahr, die auch von der Politik wahrgenommen wird: Viele Bürger sprechen sich zwar für den Klimaschutz aus, doch in ihrem individuellen Verhalten setzt die Masse der Menschen nach wie vor auf Auto-Mobilität. Zudem blockiert sie Planungen für Verkehrsprojekte der Mobilitätswende, sobald sie persönlich betroffen sind. Die Ampel-Regierung, die in ihrem Koalitionsvertrag klare Ansagen für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs macht, hat da eine spezielle Aufgabe, die viel Mut verlangt: Sie muss die Bürger mitnehmen. Das ist sicher eine große Aufgabe schon für 2022.

Foto: Eberhard Krummheuer

ÜBER DEN AUTOR

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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