Position
Berlin – 26. September 2019
Im August dieses Jahres legte das Verkehrsministerium einen Entwurf einer neuen Straßenverkehrsordnung vor. In dem Schriftstück empfiehlt das Ministerium, Busspuren auch für Fahrgemeinschaften und E-Tretroller zu öffnen. Was als große Geste mutmaßt, ist jedoch in der Realität schwer umzusetzen.
Das Verkehrsministerium unter der Führung des CSU-Politikers Andreas Scheuer hat im August 2019 eine neue Straßenverkehrsordnung (StVO) vorgestellt. Im Speziellen nimmt das Schriftstück die Sicherheit von Zweiradfahrern und die Förderung von klimafreundlichen Verkehrsmitteln in den Fokus. Hintergrund des Vorstoßes ist das drohende Verfehlen der EU-Klimaziele für das Jahr 2030. Schließlich können diese nur erreicht werden, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger häufiger mit nachhaltigen Verkehrsträgern fortbewegen und so dazu beitragen, dass der CO2-Ausstoß deutlich sinkt. Die redigierte Straßenverkehrsordnung deutet an, wie sich der Straßenverkehr noch dieses Jahr ändern könnte – möglicherweise zum Nachteil des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV).
Busspuren für Fahrgemeinschaften und E-Scooter
Laut Verkehrsminister Scheuer können zukunftsträchtige Mobilitätsideen nur realisiert werden, wenn notwendige Anpassungen vorgenommen werden. „Es gibt einiges zu tun, um unsere Straßen noch sicherer, klimafreundlicher und gerechter zu machen“, bekräftigt der Minister seine geplanten Maßnahmen. Ganz nach diesem Credo sind die neuen Ansätze im StVO-Entwurf innovativ – und zugleich strittig. Für Kopfschütteln bei Mobilitätsdienstleistern und Aufgabenträgern sorgte im Besonderen der Vorschlag, Busspuren für E-Scooter und Fahrgemeinschaften zu öffnen.
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des ÖPNV stehen auf dem Spiel
Seit der Zulassung von E-Scootern im Juni 2019 entzünden sich Debatten rund um das neue Verkehrsmittel: Nutzer der elektrisierten Roller können maximal 20 Stundenkilometer fahren und dürfen primär nur Fahrradwege benutzen. Neben der tatsächlichen Umweltfreundlichkeit steht zurzeit vor allem die Sicherheit des Verkehrsmittels im Zentrum der Diskussion. Wenn es keine ausgezeichneten Fahrradwege gibt, so fahren viele Rollerfahrer unerlaubt auf Bürgersteigen oder in Fußgängerzonen – und sorgen somit für chaotische Szenen. Inwiefern die Roller für den Straßenverkehr ausreichend sicher sind, wird über einen Zeitraum von drei Jahren durch die Bundesanstalt für Straßenwesen wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Ende 2020 soll der erste Zwischenbericht zu den Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit vorgelegt werden.
„Da ist kein Platz!“
Politiker und Vertreter der Mobilitätsbranche sehen Scheuers Vorstoß problematisch, denn eine zusätzliche Nutzung der Busspuren durch E-Roller und Fahrgemeinschaften würde den öffentlichen Verkehr drosseln. „Schon heute nutzen Fahrräder und Taxen die separaten Spuren und behindern dadurch die Busse,“ erklärt der Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), Ingo Wortmann. Angepasste Ampelschaltungen würden ihre Wirkung verlieren, wenn E-Scooter die Busse ausbremsten. Für die Öffentlichen Verkehrsmittel sei eine solche Änderung für den MVG-Chef nur zum Nachteil gereicht: „Das gefährdet die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des ÖPNV und erhöht die Kosten für die Verkehrsunternehmen.“ Der eigentliche Zweck der Busspur würde damit unterlaufen. Nicht umsonst weist der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, Oliver Wolff, drauf hin, dass Busspuren den Busverkehr pünktlicher und zuverlässiger machen sollen.
Auch der Deutsche Städtetag lehnt den Aufschlag des Ministeriums als „lebensfremd“ ab und bemängelt insbesondere die Freigabe der Busspuren für Fahrgemeinschaften. „Da ist kein Platz für zusätzliche Pkws“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Darüber hinaus befürchtet Dedy, dass die Kontrolle über die Anzahl der Mitfahrer der Fahrgemeinschaft durch die Polizei ein „ziemlich fruchtloses Unterfangen“ darstellen wird. Diese Meinung bestätigt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens. Er sieht die Freigabe der Spur als „extrem kritisch“, da sie den Nahverkehr weiter belasten und einen neuen Konfliktbereich erzeugen würde.
Alternativen attraktiver machen – aber nicht auf Kosten des ÖPNV
Bei den zahlreichen und unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern steht fest: Es wird immer enger auf den Straßen und Radwegen. Doch ein Motivationsanschub für die Nutzung alternativer Verkehrsmittel darf nicht auf Kosten der Busse geschehen. Die Lösung könne laut dem hessischen Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen Tarek Al-Wazir nicht die Öffnung der Busspuren sein, sondern vielmehr der Ausbau breiterer Radwege – „im Zweifel auch auf Kosten von Pkw-Spuren.“ Denn in den Bussen, so betont Al-Wazir, „sitzen in aller Regel deutlich mehr Menschen drin als in einem Auto – selbst wenn Fahrgemeinschaften gebildet werden.“
Die Änderungen der Straßenverkehrsordnung sollen noch 2019 in Kraft treten. Zurzeit befinden sich die Pläne in der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung. Bundestag sowie Bundesrat müssen einer Reform der Straßenverkehrsordnung zustimmen.
Nachtrag, 27.09.2019:
Seit der Veröffentlichung des Entwurfs der neuen Straßenverkehrsordnung wurde die von Andreas Scheuer vorgeschlagene Öffnung der Busspuren für E-Scooter kritisch diskutiert. Die im obigen Artikel genannten Bedenken haben auch für Gegenwind aus der eigenen Partei gesorgt. Mittlerweile rückte der Minister von seinem Vorhaben ab, künftig auch elektrische Roller auf Busspuren fahren zu lassen. Im Zuge der Ressortabstimmung über die Reform der Straßenverkehrsordnung hatten auch mehrere Ministerien aus der Union gefordert, diesen Passus zu streichen, um die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs nicht zu beeinträchtigen.
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