Future
Berlin – 19. Februar 2020
Teilen statt besitzen – ein neuer Zeitgeist geht herum, der sich im Gewand von Sharing und On-Demand-Mobilitätsangeboten kleidet. Doch die neue Mobilität wird tatsächlich nur von einem überschaubaren Anteil der Bevölkerung genutzt. Denn: Der Umstieg auf der Straße ist zuallererst ein Umstieg im Kopf.
Noch nie waren die Möglichkeiten größer, die eigene Mobilitätskette umweltfreundlich zu gestalten. Vielfältige Angebote jeglicher Fasson überfluten deutsche Großstädte – allein in Berlin gibt es fast 30 Anbieter für jegliche Art der Fortbewegung, von E-Roller über Leihräder oder -autos bis hin zum Shuttle-Service. Weitere deutsche Großstädte ziehen hinsichtlich der Angebotsvielfalt nach. Vordergründig lässt sich behaupten: Es ist einfach in der Stadt auf den eigenen Pkw zu verzichten. Zugleich zeigen jedoch Statistiken, dass in Deutschland die Zahl der Autobesitzer einen neuen Hochstand erreicht hat. Neueste Studien belegen zwar eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber Sharing-Angeboten, doch große wirtschaftliche Gewinne werden von den Dienstleistern nicht erzielt. Wo liegen also die Schwachstellen, damit der Umstieg vom eigenen Auto hin zu alternativen Fortbewegungsmitteln leichter fällt?
Harte Faktoren alleine reichen nicht aus
Neben harten Faktoren, wie der Finanzierung, der Verbesserung der Infrastruktur und Förderung der Technologie, spielen auch weiche Faktoren in das Mobilitätsverhalten. Damit die Klimaziele auch im Handeln der gesellschaftlichen Mitte Verankerung finden, müssen Verhaltensänderungen als wesentlicher Teil einer Verkehrswende durch gezielte Kommunikation unterstützt werden. Inwiefern dabei angelerntes Verhalten, Emotionen sowie Gewohnheiten eine Rolle spielen, erörtern wir im Gespräch mit Dr. Jutta Deffner und Melina Stein vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main.
In Ihrem Aufsatz „Für einen Green New Mobility Deal. Bloß nicht auf der Strecke bleiben“ merken Sie an, dass sich der Green New Deal vornehmlich harte Faktoren zum Ziel setzen wird – Ausbau von technischen Infrastrukturen, technologische Innovationen und regulatorische Maßnahmen. Doch wie Sie schreiben muss die Verkehrswende als „gesamtgesellschaftliche Transformation“ gelingen. Was sind die größten Barrieren, die im Mobilitätsalltag vieler Menschen bestehen?
Vielerorts, meist in ländlichen Gegenden, sind kaum komfortable und verlässliche Mobilitätsoptionen als Alternative zur Autonutzung vorhanden. Hier sind Zugang und Erreichbarkeit beispielsweise zu ÖPNV-Angeboten oder eben den Mikromobilitätsangeboten nicht gegeben. Eine weitere Rolle spielt das Verkehrsverhalten als Routine. Hier individuelle Routinen neu auszubilden, ist wie in vielen anderen Lebensbereichen schwierig und braucht einerseits Zeit und andererseits die Möglichkeit, positive Erfahrungen zu sammeln. Um andere, bislang ungewohnte Verkehrsmittel auszuprobieren, müssen Kompetenzen erworben werden und es muss Spaß machen, dies zu tun.
Damit beschreiben Sie aber eher harte Faktoren, oder?
Bezüglich des Angebotes ja, richtig. Die Änderung des Verhaltens und was gesellschaftlich anerkannt ist, ist ein weicher Faktor. Die größte Barriere ist, dass unser ganzes Verkehrsleitbild über einen sehr langen Zeitraum Praktiken der Autonutzung enorm erleichtert, bequem gemacht und darauf ausgerichtete Wertschöpfungs- und Anerkennungsmechanismen hervorgebracht hat. Für andere Fortbewegungsformen entsteht dieser Komfort und die Vielfalt erst nach und nach auch auf der Systemebene.
Das sind also die gesellschaftlichen Voraussetzungen. Inwiefern spielen denn die individuellen Voraussetzungen eine Rolle bei der Wahl der Fortbewegung?
Für uns gilt die Formel: Individuelle Verhaltensänderungen erfordern Motivation, Kompetenzen und Gelegenheiten. Wer sein Verhalten hin zu einer vielfältigeren, nachhaltigeren Mobilität verändern will, braucht dazu Motivation von sich heraus. Dies hängt von individuellen Orientierungen ab, wie Gesundheitsbewusstsein, Sportlichkeit, Technikaffinität oder Kostenbewusstsein. Zudem muss jemand, der etwas Neues machen möchte, die entsprechende Fähigkeit besitzen und die passende Gelegenheit erhalten. Wer beispielsweise Carsharing nicht kennt oder nicht weiß, wie es funktioniert, wird es auch nicht nutzen. Und natürlich muss es die entsprechenden Angebote und Infrastrukturen geben, damit die Verkehrsmittel genutzt werden können. Deshalb wird es auch ohne sichere Radwege nicht deutlich mehr Radfahrende geben.
Mittlerweile existieren – zumindest in den Metropolen – zahlreiche Mobilitätsdienstleistungen physischer und digitaler Art, die den Besitz eines eigenen Pkw überflüssig machen. Die Mobilitätskette kann mit wenigen Klicks individuell gestaltet werden. Das eigene Auto können diese Optionen dennoch nicht als favorisierten Mobilitätsträger ablösen. Was sind die Gründe hierfür?
In vielen Großstadtregionen kann man inzwischen recht gut ohne eigenes Auto leben, aktuell ist dies bei etwa einem Drittel der Haushalte, die in Großstädten leben, der Fall. Sie leben nicht nur aus ökonomischen Zwängen ohne Auto, sondern zum Teil auch als bewusste Entscheidung. Eine offene Frage ist, ob ganz auf das Auto verzichtet werden muss. Die Niederlande oder Dänemark zeigen, dass dort der Autobesitz nach wie vor hoch ist, aber das Bewusstsein, für welche Wege das Auto genutzt wird, ist im Handeln angekommen.
Weshalb ist dieses Bewusstsein in Deutschland nicht vorhanden?
Das liegt einerseits an versteckten Anreizsystemen, die das eigene Auto so attraktiv machen. Dazu gehören beispielsweise die Bagatellisierung von Falschparken, die nahezu kostenfreie Nutzung des öffentlichen Raums für parkende Fahrzeuge in Wohngebieten oder Dienstwagenregelungen. Auf der anderen Seite gibt es hierzulande nach wie vor „Mobilitätslücken“: Für bestimmte Erledigungen und Aktivitäten ist die multioptionale Mobilität noch nicht so weit, dass ich mich als Nutzer*in darauf verlassen möchte. Da geht es dann wieder um die oben angesprochenen Aspekte wie Kompetenzen und Gelegenheiten. Als Rückfallebene bietet da das eigene Auto nach wie vor Sicherheit und Komfort – und Gewohnheit.
Unter jungen Menschen ist ein neuer Zeitgeist spürbar: Die Generation beschäftigt sich mit „Flugscham“ und schimpft auf Autofahrer – Influencer zeigen sich vermehrt bei der Reise mit dem Zug, die sie vor kurzem noch mit dem Flugzeug zurückgelegt hätten. Welche Macht haben Medien und Emotionen bei unserer Fortbewegungswahl?
Zu allererst: In der Mobilitätsforschung ist es anerkannt, das Verkehrsverhalten kaum allein mit rationalen Theorien zu erklären ist. Emotionen und Einstellungen haben großen Einfluss darauf. Das muss stärker beachtet werden. Es geht darum, unser Mindset, also was wir über verschiedene Verkehrsmittel denken und das unser Verhalten auch mit beeinflusst, zu verändern.
Gib es ein aktuelles Beispiel, dass den Einfluss der Medien aufzeigt?
Die Flugschamdebatte zeigt das sehr deutlich. Wir haben selbst dazu eine Kurzstudie durchgeführt, bei der wir festgestellt haben: Die Debatte hat in Deutschland bisher keine Verhaltensänderung ausgelöst. Die meisten fliegen weiterhin – jetzt aber mit schlechtem Gewissen, denn die Auswirkungen von Flügen auf das Klima sind durch die mediale Präsenz in das Bewusstsein der Menschen gerückt. Informationen über die Wirkungen des eigenen Handels sind immer wichtig, nicht nur beim Verkehr. Für viele sind das neue Informationen. Deswegen ist es gut, dass die Medien hier ihre Rolle als Informationsvermittler zur Meinungsbildung ausfüllen. Zugleich ist es aber auch wichtig, das positiv Emotionale einer nachhaltigeren Mobilität zu kommunizieren.
Ist klimafreundliche Mobilität Ihrer Meinung nach aktuell noch zu wenig mit positiven Emotionen besetzt?
Im Vergleich zum Pkw auf jeden Fall. Das Auto wird auch heute noch präsentiert als der Inbegriff der Freiheit. Der Autobesitz symbolisiert einen unabhängigen Lebensstil. Wichtig ist, auch die Alternativen zum Auto stark mit positiven Emotionen und Images zu besetzen. Ich fahre doch nicht nur wegen der Umwelt Fahrrad, sondern – frei nach Max Raabe – weil ich den Wind um meine Nase liebe und mich dabei frei fühle.
Wagen Sie bitte einen Blick in die Kristallkugel: Wie werden die Menschen im Jahr 2030 mobil sein?
Das Auto wird sicher noch eine wichtige Rolle spielen, aber es werden weniger Menschen mit dem eigenen Auto mobil sein. Nicht nur die Angebote und Fahrzeugformen zwischen öffentlichem und privatem Verkehr, sondern auch die Antriebstechniken werden vielfältiger sein. Durch die vielen neuen Mobilitätsangebote wird vermutlich für die Nutzer*innen die Lage erstmal weiter etwas unübersichtlich. Die digitalen Anwendungen werden immer weiter optimiert, wodurch es komfortabler sein wird, die unterschiedlichsten Verkehrsmittel je nach Anlass und Entfernung zu kombinieren. Vor allem in den urbanen Regionen wird die Vielfalt an Mobilitätsoptionen steigen. Damit entsteht aber auch das schon jetzt absehbare Erfordernis, dass diese Angebote in Richtung Nachhaltigkeit – ökologisch wie sozial – von den Kommunen und dem Gesetzgeber geregelt werden müssen.
Jutta Deffner, geb. 1971, ist seit 2005 am ISOE tätig und leitet dort seit 2010 den Forschungsschwerpunkt Mobilität und Urbane Räume. Ihr Forschungsinteresse gilt der ganzheitlichen Betrachtung von Siedlung, Verkehr und Mobilitätsbedürfnissen.
Melina Stein, geb. 1988, studierte Soziologie und Politikwissenschaften und arbeitet seit 2015 am ISOE. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltige Mobilität und qualitative Sozialforschung.