Position
Berlin – 27. November 2020
Corona-Ignoranten sind bekanntlich eine Minderheit im Volk. Wie groß aber ist die Zahl der Leugner des Klimawandels? Viele Bürger verstehen noch nicht, was da auf sie zukommt.
Manchmal trennt der Rhein Weltanschauungen. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz entschied sich vor Jahren zum Ausbau ihrer Straßenbahn und realisierte eine Neubaulinie hinauf auf den Lerchenberg. Hessens Hauptstadt Wiesbaden auf dem anderen Flussufer, bleibt dagegen im ÖPNV schienenfrei. Eine deutliche Bürgermehrheit torpedierte per Wahlentscheid das anspruchsvolle Projekt der „Citybahn”, die letztlich sogar über den Rhein hinweg ins Mainzer Netz führen sollte.
Nein zur Tram: Chance verpasst
Damit ist ein erbitterter Kampf demokratisch beendet. Für ein Nein zur Tram mag es gute Gründe gegeben haben, doch im Blick auf den Klimawandel hat Wiesbaden eine Chance vertan. Eine Stadt, die im schwierigen Miteinander von Individualverkehr und Bus-Angebot zu ersticken droht, verzichtet auf ein attraktives Schienenverkehrsmittel. Verpasst ist nicht nur ein Baustein, sondern eine tragende Säule für die Mobilitätswende – verhindert vermutlich von Wählerinnen und Wählern, die lieber weiter mit dem eigenen PKW ins Stop and Go und auf Parkplatzsuche gehen.
Für den Klimaschutz ist eigentlich jeder. Doch während Verkehrspolitiker immer mehr verstehen, dass die Mobilitätswende klare Restriktionen für das Auto zumindest in den Innenstädten erforderlich macht, beharren ihre Wähler auf dem Status quo: mit dem Auto überall hin, und reichlich Parkplätze für kurze Wege zum Ziel.
Pendlertraum Firmenwagen
So wird das nichts mit dem großen Umbau des Verkehrssystems hin zu umweltgerechter Mobilität, hin zu lebenswerten, weil weithin autofreien Stadtzentren mit grünen Flaniermeilen. Und das, obwohl es dafür längst überzeugende Beispiele in Metropolen im In- und Ausland gibt. Wiesbaden ist kein Einzelfall. In München erschreckte eine Studie kürzlich sogar ihre Autoren. Befragt nach ihren Pendler-Gewohnheiten, träumten über 30 Prozent einer Gruppe von Arbeitnehmern, die in der Innenstadt wohnen und dort arbeiten, davon, am liebsten mit einem Firmenwagen zur Arbeit fahren zu wollen – statt mit dem ÖPNV.
Das sollte „zumindest unter dem Blickwinkel der nachhaltigen Entwicklung zum Nachdenken anregen”, hieß es in dem offensichtlich von diesem Ergebnis überraschten Bericht über die Befragung. Sie mag einseitig den Blick aufs Automobil gerichtet haben, doch symptomatisch für das Klimabewusstsein in unserer Gesellschaft ist sie allemal. Und das in einer Stadt, die über ein hervorragendes Netz an Bussen, Trams, U- und S-Bahnen verfügt. Wie schön, dass es in der bayrischen Landeshauptstadt, noch einen anderen Versuch gab: Im an Parkplätzen nicht reichen Stadtteil Schwabing ließen sich acht Haushalte auf den Versuch ein, einen Monat lang auf das private Auto zu verzichten und Mobilität per Radl, ÖPNV und Sharing-Modellen zu probieren. Nach dem Test verkündeten drei der Haushalte, künftig ganz auf einen eigenen fahrbaren Untersatz zu verzichten.
Schweinswal kontra Tunnelbau
Wie schwierig es ist, in Deutschland Infrastruktur für bessere Mobilität zu verwirklichen, zeigt auch ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Fehmarnbeltquerung. Die Tunnelverbindung durch die Ostsee zwischen Dänemark und Deutschland, die neben der Autobahn auch schnelle Schienen für attraktive, klimafreundliche Bahnverbindungen erhalten soll und seit Jahren in einem Staatsvertrag beider Länder vereinbart ist, wollte neben anderen Klägern auch der Naturschutzbund Deutschland stoppen. Doch die Klage wurde abgewiesen – nachdem sich die Richter in Leipzig mit dem Schutz des Schweinswals im Fehmarnbelt beschäftigen mussten, aber keine Verstöße gegen Natur- und Artenschutz erkennen konnten. Nur zur Klarstellung: Es geht in der 18 Kilometer breiten Meerenge um Tunnel für eine vierspurige Auto- und eine zweigleisige Eisenbahn. Liebe Naturschützer: Da wird der Schweinswal doch wohl drum herum und drüber hinweg schwimmen können.
ÜBER DEN AUTOR
Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.
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