Future
Berlin – 22. Mai 2020
In Arizona sind fahrerlose Taxis unterwegs, in Singapur ist die halbe Stadt ein Testfeld für autonomes Fahren und Volkswagen hat für 2025 kommerzielle Flotten von hochautomatisierten Fahrzeugen angekündigt. Doch noch sind wichtige rechtliche Rahmenbedingungen zu klären – auch für den Einsatz im öffentlichen Nahverkehr.
Der Sprung zum vollautomatisierten Fahren bietet für den öffentlichen Nahverkehr große Chancen. Autonome Fahrzeuge könnten künftig beispielsweise als Robo-Shuttles oder im CarSharing in städtischen Quartieren wie auch in ländlichen Regionen eingesetzt werden und so zu einem festen Bestandteil des ÖPNV werden. Das würde die heute noch betriebswirtschaftlich „teuren“ Bedienformen langfristig günstiger machen und neue Möglichkeiten zur passgenauen Ergänzung des klassischen ÖPNV schaffen. Bis es soweit ist, sind allerdings neben den technischen auch in rechtlicher Hinsicht noch viele Fragen offen. Zum einen sind solche fahrerlos betriebenen Mobilitätskonzepte in Deutschland gegenwärtig noch unzulässig, zum anderen fehlt es an einem international einheitlichen Rechtsrahmen.
Deutschland Vorreiter – einige Regeln schon da
Deutschland hat 2017 als erstes Land Regeln für den Einsatz vollautomatisierter Systeme geschaffen. Danach ist eine automatisierte Steuerung nur erlaubt, wenn ein übernahmebereiter Fahrer vorhanden ist. Vorgaben für ein autonomes Fahren nur mit Passagieren fehlen dagegen national wie international. „Die Verkehrsunternehmen arbeiten intensiv an betrieblichen Lösungen für den Einsatz vollautomatisierter Fahrzeuge“, erklärt Emanuele Leonetti, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. „Hinsichtlich der rechtlichen Regularien sind aber der deutsche Gesetzgeber und die internationale Staatengemeinschaft gefragt, entsprechende Vorgaben für höhere Automatisierungsstufen zu erarbeiten. Darauf warten Automobilindustrie und große Technologieanbieter genauso wie die Verkehrsunternehmen, die nur so ein integriertes Gesamtkonzept für den ÖPNV schaffen können. Wir brauchen dringend eine Regulierung im Sinne der sogenannten ‚Stufe 4 ÖV‘, die den fahrerlosen Betrieb von Fahrzeugen auf den spezifischen Anwendungsfällen des öffentlichen Verkehrs – also als Robo-Shuttle im Stadtquartier oder Zubringer zur Bahn in ländlichen Räumen – möglich macht.“
Einen experimentellen Rechtsrahmen schaffen
Wünschenswert wären aus Sicht des Experten für den deutschen Raum Ausnahmeklauseln der Bundesregierung, die einen experimentellen, aber institutionalisierten Regelungsrahmen schaffen. Durch eine „nationale Typengenehmigung“ könnten Fahrzeuge in höherer Stückzahl produziert und für den Betrieb auf öffentlichen Straßen zugelassen werden. Die Länder könnten dann wiederum auf Basis eines speziellen Genehmigungsverfahrens die genauen Betriebsspezifikationen und -parameter wie Einsatz, Strecken und Tempo bestimmen. „Dies würde für fahrerlose Mobilitätskonzepte bedeuten, einen genehmigungs- und kompetenzrechtlichen Zweiklang zu schaffen – mit einer zentralisierten Genehmigung durch den Bund und einer örtlich begrenzten Zulassung durch die Länder und Kommunen“, erläutert Emanuele Leonetti. Die Bundesregierung hatte angekündigt, zum Frühjahr 2020 einen Referentenentwurf vorlegen zu wollen. Dem Vernehmen nach liegt er noch immer nicht vor. Auch international besteht weiter erheblicher rechtlicher Anpassungsbedarf, um echte fahrerlose Mobilitätskonzepte flächendeckend umsetzen zu können. So bedarf es beispielsweise Änderungen des EU-Typengenehmigungsrechts. Auf EU-Ebene beschäftigen sich bereits mehrere Arbeitsgruppen mit rechtlichen Standards, eine solche Harmonisierung benötigt aber Zeit. Daher ist nicht mit schnellen Ergebnissen zu rechnen.
Hohe Akzeptanz bei den Fahrgästen
Ungeachtet aller notwendigen rechtlichen Anpassungen ist das vollautomatisierte Fahren auf den fest definierten Linienwegen des öffentlichen Nahverkehrs leichter zu realisieren als im allgemeinen Straßenverkehr, denn der fahrerlose Betrieb der Zukunft wird weiterhin eine menschliche Überwachung erfordern. Hier verfügt der ÖPNV über den Vorteil, dass geeignete Betreiber vorhanden sind, die über ein übergeordnetes Leitsystemnetz zur Betriebslenkung und -überwachung verfügen. Auch aus anderen Gründen ist VDV-Mann Leonetti davon überzeugt, dass das automatisierte Fahren gerade für den öffentlichen Verkehr großes Potenzial bietet. Der Experte verweist dazu auf die automatisierten Mobilitätskonzepte, die bereits heute unter Aufsicht von Sicherheitsfahrern und Operatoren auf zahlreichen Testfeldern zu erleben sind: „Fahrgäste, die bereits die Möglichkeit hatten, in einem automatisierten Shuttlebus mitzufahren, waren begeistert von der neuen Technologie. Die Begleitstudien zu den digitalen Testfeldern im öffentlichen Personenverkehr weisen eine deutlich höhere Akzeptanz auf als vergleichbare Studien zu automatisierten Fahrzeugen des Individualverkehrs.“ Beste Voraussetzungen also, um den bestehenden Rechtsrahmen sinnvoll weiterzuentwickeln und dem vollautomatisierten autonomen Fahren im ÖPNV so den Weg zu ebnen.
Zur Person
Dipl. Jur. Emanuele Leonetti ist seit Juli 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Er beschäftigt sich im Rahmen des vom Bundesverkehrsministerium geförderten Forschungsprojekts RAMONA mit rechtlichen und betrieblichen Fragestellungen eines vollautomatisierten Busbetriebs. Neben der Tätigkeit beim VDV promoviert er am Institut für Öffentliches Recht der Universität Göttingen zum autonomen Fahren im ÖPNV.
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