Position
Berlin – 12. November 2019
Städte müssen sich zukunftsfähig strukturieren, um als attraktiver Lebensstandort zu punkten. Wie die ideale Stadt der Zukunft aussieht und funktioniert, schildert Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages.
1. Zurzeit wird viel für die Aufwertung deutscher Innenstädte getan. So unterstützen die Bund-Länder-Programme „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ und „Stadtumbau“ mehrere Städte mit finanziellen Mitteln. Welche Kriterien müssen Ihrer Meinung nach erfüllt sein, damit eine Stadt eine hohe Aufenthaltsqualität besitzt?
Städte sind Orte der Vielfalt. Sie sind Wohnort und Arbeitsstätte, Marktplatz und Wirtschaftsstandort. Im städtischen Raum vermischen sich Freizeit, Arbeit, Wohnen und Bildung. Die verschiedenen Interessen und Lebensentwürfe der Bewohnerinnen und Bewohner treffen aufeinander. Das ist ein Wesensmerkmal von Städten.
Die ideale Stadt ist integrativ, vielfältig und sozial ausgeglichen. Hohe Aufenthaltsqualität in den Städten entsteht dort, wo sich Menschen begegnen können, wo es Plätze gibt, die Dialog ermöglichen und den vielfältigen Lebensentwürfen Raum geben. Sie wird aber auch dadurch erreicht, dass Entscheidungen, die das Leben der Menschen in den Städten beeinflussen, große Akzeptanz erhalten. Wenn die Stadt von den Bürgerinnen und Bürgern im besten Falle sogar geliebt wird und sie ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln.
2. Wie muss Mobilität gestaltet werden, um zu einer hohen Aufenthaltsqualität in den Städten beizutragen?
Staus, überlastete Straßen, Luftverschmutzung und Lärm gehören in vielen Städten noch zum Alltag. Vielerorts wird deutlich, dass die Art und Weise, wie der Verkehr in und auch um die Städte organisiert ist, an seine Grenzen kommt. Wir brauchen eine Verkehrswende. Nur so können die Klimaziele verwirklicht, die Luftqualität sowie die Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessert werden. Um das zu erreichen, muss die Mobilität der Zukunft viele Ansprüche erfüllen. Wir wollen sie vernetzt, nachhaltig, bezahlbar und wettbewerbsfähig gestalten. Mobilität wird auch vielfältiger sein als heute. Schon jetzt ändert sich der Verkehrsmix in den Städten, es gibt mehr Fahrgäste im ÖPNV, aber auch auf Rädern oder Rollern.
Wir haben dem Auto in den vergangenen Jahrzehnten viel Platz in unseren Städten eingeräumt. Das wird sich ändern müssen. Gleichzeitig wird es nicht funktionieren, Autos ad hoc aus den Städten zu verdrängen. Denn auch hier geht es wieder um Akzeptanz: Wer bisher im Auto in der Stadt unterwegs war, braucht gute Alternativen, um sein bisheriges Verhalten zu verändern. Nur wenn die Menschen durch die Qualität der Angebote im ÖPNV überzeugt werden, wird der Wechsel vom Auto auf den Nahverkehr nachhaltig sein. Und auch der Rad- und Fußverkehr wird in den Städten eine noch größere Rolle spielen. In vielen Städten hat das Rad bereits 15 Prozent und mehr Anteil am gesamten Verkehr. Für das Radfahren und das zu Fuß gehen wollen wir attraktive Rahmenbedingungen schaffen. Zusammen mit einem modernen öffentlichen Nahverkehr können wir damit einen möglichst leistungsstarken Umweltverbund erreichen.
3. Welchen Beitrag kann das Klimapaket der Bundesregierung zu einer nachhaltigen Mobilitätsentwicklung in den Städten leisten?
Einige Punkte des Klimapakets sind aus Sicht der Städte sinnvoll. Besonders im Verkehr müssen wir aber schneller handeln. Denn wir stehen heute noch bei den hohen CO2-Emissionen im Verkehr auf dem Niveau von 1990. Hauptursache ist der Straßenverkehr. Die Ansätze des Klimapakets, alternative Antriebe zu fördern, das Bahnfahren attraktiver zu gestalten und die Kfz-Steuer umzustellen, sind deshalb richtig. Aber das wird aller Voraussicht nach nicht ausreichen, um die CO2-Einsparziele beim Verkehr zu erreichen.
Es muss für die Menschen noch attraktiver werden, vom Auto auf emissionsarme Verkehrsmittel umzusteigen. Und dafür sind die öffentlichen Verkehrsmittel ganz entscheidend. In den vergangenen Jahren sind die Fahrgastzahlen weiter gestiegen. Rund 11 Milliarden Fahrgäste nutzen pro Jahr Bus und Bahn. Gleichzeitig stehen wir vor großen Investitionsaufgaben. Bei der kommunalen Verkehrsinfrastruktur beläuft sich der Investitionsrückstand auf 38 Milliarden Euro: Schienennetze müssen erweitert und grundhaft erneuert werden, Busse und Bahnen müssen neu gekauft oder umgerüstet werden, Haltestellen umgebaut, die Verkehrssysteme digitalisiert werden, um engere Taktung zu ermöglichen.
4. Ein Bestandteil des Klimapakets ist die Anhebung der Mittel für die kommunale Verkehrsinfrastruktur durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) auf 2 Milliarden Euro. Reicht das aus, um den Ausbau der ÖPNV-Systeme in den Städten sicherzustellen?
Die Städte wollen einen attraktiven ÖPNV mit mehr modernen Bussen und Bahnen, sie müssen investieren können, um den Nahverkehr modern und zukunftsgerecht aufzustellen. Deshalb ist es richtig, dass der Bund die Mittel für die kommunale Verkehrsinfrastruktur durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auf zwei Milliarden Euro anheben will. Das hat der Deutsche Städtetag seit langem gefordert. Für uns ist aber auch das „wann“ entscheidend. Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren, um den öffentlichen Nahverkehr zu modernisieren. Deshalb müssen die Mittel im Zuge der Novellierung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode greifen.
5. Was muss darüber hinaus passieren, um die Mobilität in den Städten zukunftsfähig zu gestalten und mehr Menschen zum Umstieg auf Bus und Bahn zu bewegen?
Viel Potential für bessere Mobilitätslösungen ergibt sich, wenn der städtische Verkehr konsequenter als bisher in Regionen gedacht wird. Künftig wollen wir vor allem die Pendler-, Freizeit-, Erholungs- und Einkaufsverkehre stärker in den Blick nehmen, denn sehr viele Menschen pendeln mit dem eigenen Auto vom Umland in die Städte. Das ist gut ein Drittel des heutigen Pkw-Verkehrs. Das können wir nicht ausblenden. Deshalb wollen wir Angebote des ÖPNV schaffen, die so gut sind, dass sie diese Menschen künftig zu einem Wechsel bewegen. Engere Taktzeiten und moderne Fahrzeuge gehören dazu, ebenso mit der Deutschen Bahn und anderen Nahverkehrsanbietern verzahnte Angebote.
Zur Person
Helmut Dedy ist seit 2016 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages und Geschäftsführer des Städtetages Nordrhein-Westfalen.
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