Position
Berlin – 25. August 2021
Frankreich denkt darüber nach, Kurzstreckenflüge zugunsten der Bahn zu verbieten. Das gefällt auch manchen Klimaschützern hierzulande. Doch staatlicher Dirigismus zum Umsteigen in den ICE oder TGV ist keine Lösung.
Paris – Marseille in drei Stunden: Davon können ICE-Reisende auf der in etwa vergleichbar langen Strecke von Hamburg nach München nur träumen. Sie brauchen fast die doppelte Zeit. Doch lohnt das genauere Hinsehen. Viele Bahnkundinnen und -kunden beispielsweise von Hannover, Kassel, Würzburg oder Nürnberg aus haben vergleichsweise attraktive Verbindungen zu den beiden Endpunkten der Züge oder auch für Reisen dazwischen. Und es gibt viele Umsteige-Gelegenheiten. Der große Unterschied zu Frankreich ist die polyzentrische, dicht besiedelte Struktur Deutschlands.
Das TGV-Netz ist weithin sternförmig ausgerichtet: Paris ist – wie so oft in Frankreich – der Mittelpunkt, die wenigen großen Städte im Lande sind die Ziele. In dieser Struktur ist der Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der Schiene dem Fliegen sehr viel näher als in Deutschland. Jedoch nur auf wenigen Non-Stop-Verbindungen. Zum Teil führen die Neubaustrecken jenseits des Rheins zum Teil gar nicht mehr in die Städte hinein; es gibt neue Bahnhöfe außerhalb. Da braucht man dann nach der schnellen Zugfahrt Anschlüsse per Bus, Nahverkehrszug oder Taxi – und Zeit, die dann die rasante Schienentour im Endeffekt doch wieder langsamer macht. Effekte, die aus dem Luftverkehr nur allzu gut bekannt sind. Entlang der TGV-Strecken gibt es hochmoderne, selten bediente Geisterbahnhöfe mitten in der Provinz: Sammelstellen gewissermaßen für die Fläche. Städte wie beispielsweise Fulda, Montabaur oder Wolfsburg hätten da sicher keine Chance für schnellen Bahnanschluss.
Wie anders ist das deutsche System? Bestes Beispiel ist Erfurt. Die Neubaustrecke Berlin – München macht sogar einen Umweg, um die Landeshauptstadt Thüringens zu bedienen. Und der ICE fährt dort wie nahezu überall in den Hauptbahnhof ein. Ankunft und Abfahrt also mitten in der Stadt. Ein weiterer Unterschied zu Frankreich: Das ICE-Netz ist bekanntlich Stückwerk; immer wieder müssen die Züge ganz fahrplanmäßig auf klassische, zumeist mehr als hundert Jahre alte Trassen ausweichen – und sich die knappe Streckenkapazität mit dem übrigen Verkehr teilen. (Negativ-)Beispiel ist die 300-km/h-Linie Köln – Frankfurt. Nicht viel mehr als eine halbe Stunde brauchen die ICE von Siegburg bis zur Mainbrücke für rund 170 Kilometer. Vom Flughafen hinein zum Hauptbahnhof geht es auf wenigen Kilometern im Mischbetrieb mit dem übrigen Zugverkehr – wenn’s geht und die Signale nicht auf Rot stehen – für die letzten paar Kilometer eine weitere Viertelstunde drauf.
Wenn der ICE an Attraktivität gewinnen und Flugreisende zum Umsteigen locken soll, braucht sein Netz konsequente Lückenschlüsse. Pläne dafür gibt es reichlich, einige davon schon seit Jahrzehnten. Es hilft nicht, solche Projekte immer als „Betonbahn” zu verteufeln. Die dann oft hervor geholte Argumentation von der Schweiz, die alles anders macht, stimmt nicht immer. Die NEAT, die „Neue Alpentransversale” mit dem Gotthard-Basis-Tunnel als Herzstück ist nun allemal eine Betonbahn. Gebaut mit Bürgerwillen. Und sie ebnet klimafreundlichem Schienenverkehr den Weg.
Flugverbote für den Klimaschutz passen nicht in eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, weder in Frankreich noch in Deutschland. Die Mobilitätswende muss stattdessen durch hohe Qualität erreicht werden. Schnelle, komfortable Fernzüge gehören dazu, auch wenn viele Gegner des Netzausbaus von der behaglichen Bahn der 1970-er Jahre zu träumen scheinen. Moderne Bahn muss überzeugen. Das ist hierzulande – noch – ein weiter Weg. Der Markt wird einiges regeln, wenn das Angebot stimmt. Vor Jahrzehnten noch gab es Flüge von Hannover nach Düsseldorf, längst eingestellt wegen der Schienen-Konkurrenz, nicht anders als die Strecken Köln – Frankfurt oder Berlin – Hamburg zum Beispiel. Und vieles muss sich mit der inneren Einstellung der Passagiere ändern. Wer seine Reisezeit mit dem Flieger ehrlich rechnet, kommt mit An- und Abfahrt zum und vom Flughafen, entsprechenden Sicherheitspolstern für Staus und Warteschlangen im Flughafen, mit dem Prozedere vom Check-in bis zur Sicherheitskontrolle und vielleicht noch mit dem Warten aufs Gepäck am Zielort häufig auf drei bis vier Stunden Aufwand für einen einstündigen Kurzstreckenflug. Köln – München, Essen – Berlin, Düsseldorf – Stuttgart geht mit dem ICE meist schneller.
ÜBER DEN AUTOR
Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.
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