Position
Berlin – 10. April 2019
Das rasante Wachstum des Online-Handels hat seine Schattenseiten: Volle Straßen, zugeparkte Gehwege, gestresste Mitarbeiter, erfolglose Zustellversuche und verärgerte Kunden sind Alltag in den Städten. Gemeinsam mit Logistikunternehmen und Universitäten entwickeln Städte und Verkehrsbetriebe neuartige Konzepte, um die die Paketflut bewältigen zu können. Ralf Bogdanski, Professor für Logistik und Umweltmanagement an der TH Nürnberg, bewertet im Folgenden die aktuellen Entwicklungen.
City-Hub
Ein City-Hub ist ein mobiles oder immobiles Zwischenlager im Stadtraum, in dem Sendungen für die direkte Umgebung deponiert werden. Da die Wege vom Hub bis zum Empfänger kurz sind, kann die Zustellung beispielsweise mit Sackkarren oder (E-)Lastenrädern erfolgen. Große Zustellfahrzeuge müssen nicht mehr bis vor die Haustüren fahren. Die Nachtbelieferung von City-Hubs besitzt zudem Potenziale zur Reduzierung der Lärm- und Schadstoffbelastung und der Verkehrsüberlastung in den Städten. Im Dezember 2018 prämierte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit das Konzept „Intelligente City-Logistik Altstadt“ des Amtes für Verkehrsmanagement der Stadt Heidelberg. Das Projekt verbindet City-Hubs mit der Nutzung von elektrifizierten Lastenrädern und untersucht umfassend eine übertragbare Lösung für die letzte Meile. Dabei werden insbesondere die Einbindung von Dienstleistern, rechtliche Fragen und wirtschaftliche Analysen berücksichtigt. „Die Auszeichnung beweist, dass es sich lohnt, bei der urbanen Logistik ganz neue Wege zu beschreiten“, erklärt Jürgen Odszuck, Erster Bürgermeister der Stadt Heidelberg.
„Wir werden insbesondere die Einbindung von Kurier-Express-Paket-Dienstleistern, rechtliche Fragen und wirtschaftliche Analysen berücksichtigen. Die Stadt ist wesentlicher Impulsgeber und hat eine wichtige Funktion bei der Bündelung der Abstimmung mit den zahlreichen Dienstleistern.“
Niedrig-Emissions-Fahrzeuge (LEV)
Elektrisch betriebene Nutzfahrzeuge können die vom Lieferverkehr erzeugten Luft- und Lärmemissionen deutlich reduzieren. Aus diesem Grund fordert auch der Deutsche Städtetag, dass der Lieferverkehr und die Warenlogistik in Innenstadtbereichen auf der letzten Meile entsprechend umorganisiert werden. Denn der Wirtschaftsverkehr sei unverzichtbar, damit Städte funktionieren und sich weiter entwickeln können. „Die Städte ersticken teilweise im Verkehr“, betont Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. “Wir müssen hinkommen zu einer Verkehrswende, zu einer grundlegenden Umorientierung im Verkehr der Städte. Von dieser Umorientierung sind vor allem der Lieferverkehr und die Warenlogistik in Innenstadtbereichen auf der letzten Meile betroffen. Daher benötigen wir leise, saubere und sichere Leichtfahrzeuge mit alternativen Antrieben oder auch Lastenfahrräder.“
Lastenrad
Mit der steigenden Anzahl an City-Hubs wächst auch der Einsatz von Lastenrädern zur nachhaltigen Auslieferung von Paketen auf den letzten Kilometern bis zum Empfänger. Ein innovatives Zustellkonzept läuft aktuell in Berlin an. Im Stadtteil Prenzlauer Berg kommen E-Cargobikes, elektrische Lastenräder, in Kombination mit einem dienstleisteroffenen System von City-Hubs zum Einsatz. Das Besondere am Projekt KoMoDo ist, dass sich erstmals die größten Paketdienste Deutschlands gemeinsam daran beteiligen, die City-Hubs werden von der Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH (BEHALA) betrieben. „Berlin ist mit dem Modellprojekt Vorreiter für den Einsatz von Lastenrädern auf der letzten Meile“, sagt Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Mit dem Lastenrad kommen die Pakete sauber, sicher, leise und klimafreundlich zu den Kundinnen und Kunden. Das ist ein Baustein für eine neue Mobilität in Berlin. Aber auch weit über Berlin hinaus wird das Projekt Erfahrungswerte für andere Kommunen liefern, wie der Lieferverkehr stadtverträglich gestaltet werden kann.“
Lastenräder und Niedrig-Emissions-Fahrzeuge (LEV) ergeben im Zusammenspiel mit City-Hubs ein logistisches Konzept für Kurier-Express-Paket-Dienste (KEP), das aufgrund der Sendungsstrukturen im B2C-Segement der KEP-Branche insbesondere für Städte über 100.000 Einwohnern hervorragend geeignet ist. Hier können Lastenräder und LEV etwa 30 Prozent des KEP-Sendungsvolumens bewältigen. Auch die Pharmalogistik, soziale Lieferdienste, Handwerk und Gewerbe bieten gute Einsatzmöglichkeiten. Wo City-Hubs nicht möglich sind, kann die dynamische Begegnung von motorisierten Nutzfahrzeugen mit Lastenrädern und Leichtfahrzeugen zur Sendungsübergabe eine interessante Lösung sein. Hier verweise ich auf meine Publikation „Nachhaltige Stadtlogistik – Warum das Lastenfahrrad die Letzte Meile gewinnt“, erschienen 2019 im HUSS-Verlag.
Prof. Dr. Ralf Bogdanski
Professor für Logistik und Umweltmanagement an der TH Nürnberg
Logistiktram
Eine Renaissance erlebt aktuell das Konzept der Logistiktram. Im Laufe des Sommers 2018 haben die Stadt Frankfurt am Main, die House of Logistics & Mobililty GmbH (HOLM), die Frankfurt University of Applied Sciences (UAS), die IHK Frankfurt am Main, das Klima-Bündnis und die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) das Konzept für den Piloten entwickelt. Im Frühjahr 2019 testet die VGF das System. Während der Pilotphase werden die Bahnen in verkehrsarmen Zeiten Pakete als Sonderfahrten befördern. Umbauen musste die VGF die eingesetzten Bahnen für dieses Projekt nicht. Die Logistiktram kann City-Hubs in den Stadtteilen leise, klimafreundlich sowie separat vom Individualverkehr beliefern. Die kurzen Wege innerhalb der Quartiere übernehmen Lastenräder. Damit diese Idee auch wirtschaftlich wird, also große Mengen schnell und effektiv bewegt und umgeladen werden können, wurde ein mobiles Mikrodepot entwickelt, das mehrere herausziehbare Logistikboxen beinhaltet. Dieses Mikrodepot wird temporär an definierten Stellen entlang der Tramlinie abgestellt und nach wenigen Stunden wieder mitgenommen. In der Zwischenzeit werden die Sendungen im Stadtteil verteilt. „Mobilität in all ihren Ausprägungen ist ein Zukunftsthema“ unterstreicht Michael Rüffer, Geschäftsführer des VGF. Deshalb ist es uns als VGF wichtig, gemeinsam mit unseren Partnern innovative Projekte wie dieses voranzutreiben.
Damit die Logistiktram ein Erfolgsmodell wird, müssen nach meiner Einschätzung viele günstige Faktoren zusammenkommen. Einerseits sind Ziel-Haltstellen in Gebieten nötig, die mit Blick auf ihrer Sendungsstruktur für Lastenräder geeignet sind. Anderseits müssen die Quell-Haltestellen in Depot-Nähe liegen. Zudem muss es vor Ort eine verkehrstechnische Lösung für den Umschlag von leichten Lkw in die Straßenbahnen geben, die wiederum über freie Kapazitäten verfügen müssen. Da der Umschlag – zunächst in die Tram und anschließend auf das Lastenrad – spezielles Equipment verlangt, muss der politische Wille der kommunalen Verkehrsbetriebe gegeben sein, alle rechtlichen Fragen zu lösen. Meiner Einschätzung nach, wird es daher sicher nur wenige praktikable Anwendungsfälle in deutschen Städten geben.
Prof. Dr. Ralf Bogdanski
Professor für Logistik und Umweltmanagement an der TH Nürnberg
Zustellroboter
Postsendungen mit einem Gewicht von bis zu 150 Kilogramm kann der „PostBOT“ transportieren. Der anderthalb Meter hohe Zustellroboter ist auf vier Rädern unterwegs und soll die Mitarbeiter künftig bei ihrer körperlich anstrengenden Arbeit entlasten. Der Roboter begleitet die Zusteller bei der Zustellung im Schritttempo, kann vor Hindernissen stoppen und Bordsteine überwinden. Somit kann er auf der letzten Meile vom City-Hub zum Empfänger Fahrten mit größeren Fahrzeugen vermeiden. Die Deutsche Post hat nach eigenen Angaben die Tests von Robotern, die die Zustellung von Sendungen unterstützen sollen, erfolgreich beendet. Aufgrund der geringen Nachfrage wird das Projekt von Seiten der Deutschen Post vorerst jedoch nicht weiterverfolgt.
Meines Erachtens ist der flächendeckende Einsatz von Robotern in urbanen Ballungsräumen unwirtschaftlich und logistisch aufgrund der geringen Frachtkapazitäten nicht sinnvoll. Überdies dürfte es bei massenhaftem Einsatz eine Nutzungskonkurrenz auf Gehwegen geben, was Regulierungsbehörden auf den Plan rufen würde. Allerdings ist der Einsatz für speziellen Services wie Zeitfensterzustellung abends und nachts durchaus vorstellbar, wenn die Zahlungsbereitschaft auf Kundenseite gegeben ist.
Prof. Dr. Ralf Bogdanski
Professor für Logistik und Umweltmanagement an der TH Nürnberg
Logistikdrohne
Mit Logistikdrohnen sollen kurzfristige Lieferungen von der Straße in den Luftraum verlagert werden. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind zwar noch längst nicht endgültig geklärt, doch große Unternehmen arbeiten bereits an praxistaugleichen Technologien. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kündigte im März 2019 ein Förderprogramm mit einem Volumen von 15 Millionen Euro für eine Laufzeit von vier Jahren an. „Drohnen und Flugtaxis sind längst keine Vision mehr“, erklärt der Minister. „Sie sind der Takeoff in eine neue Dimension der Mobilität und eine Riesenchance für Kommunen, Unternehmen und Start-Ups, die heute schon sehr konkret und erfolgreich die Entwicklung vorantreiben. Mit Drohnen können wir schnell und sauber Pakete oder lebenswichtige Medizingüter transportieren.“
Der flächendeckende Einsatz von Logistikdrohnen ist meiner Ansicht nach in urbanen Ballungsräumen ebenfalls unwirtschaftlich und logistisch nicht sinnvoll. Zudem gilt es, vorab nicht nur rechtlichen Hürden zu überwinden, sondern auch eine praktikable Lösung für die Übergabeproblematik in Mehrfamilienhäusern zu entwickeln. Der Einsatz im Kurier- und Expressbereich bei entsprechender Zahlungsbereitschaft oder in schwer zugänglichen ländlichen Gebieten ist hingegen realistisch.
Prof. Dr. Ralf Bogdanski
Professor für Logistik und Umweltmanagement an der TH Nürnberg
Ausblick
Lastenrad, LEV, Logistikroboter und Drohne spielen in der Logistik der Zukunft eine gewichtige Rolle. Ob sie jedoch allesamt auf der letzten Meile zum Einsatz kommen, bleibt abzuwarten und hängt auch vom politischen Willen ab, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Sicher ist: Klimaschädliche Transportfahrzeuge und zugeparkte Bürgersteige werden langfristig aus unserem Stadtbild verschwinden.
Über den Experten
Prof. Dr. Ralf Bogdanski ist Professor Professor für Logistik und Umweltmanagement an der TH Nürnberg. Dort ist er Projektleiter für zwei Projekte: Im Projekt LEV@KEP wird die Entwicklung eines zulassungsfreien Light Electric Vehicle (LEV) für eine nachhaltige Stadtlogistik vorangetrieben. Das andere Projekt, VALUE@SERVICE, arbeitet an der Konzeption nachhaltiger logistischer Mehrwertdienste für Einzelhandel und Apotheken.
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