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Umsteuern zur Mobilitätswende: Wissenschaftler schlagen Alarm

News
Berlin – 07. Juni 2021

Es ist eine Mahnung aus berufenem Mund: Das Ziel der nachhaltigen Mobilität für alle sei „der anspruchsvollste Teil” der Klimaschutz-Anstrengungen. Der „Kraftakt zum Kurswechsel” könne nur stufenweise als gesellschaftliches Gemeinschaftswerk gelingen, befindet ein Wissenschaftler-Team aus dem Umfeld des Wuppertal Instituts in einem gut lesbaren Buch mit einer informativen, spannenden Bestandsaufnahme.

„Nachhaltige Mobilität für alle – Ein Plädoyer für mehr Verkehrsgerechtigkeit” ist der Titel des über 400 Seiten starken Werks (oekom Verlag, München, 28 Euro), das nüchtern Daten und Fakten mit guten wie mit schlechten Beispielen für die Mobilitätswende beschreibt und eine Fülle von Argumenten und praktischen Vorschlägen zu ihrer Umsetzung bietet. Ein über 30 Seiten langes, klein und eng gedrucktes Literaturverzeichnis mit annähernd 700 Nachweisen dokumentiert die intensive und internationale wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Klimaschutz und Mobilität. Entstanden ist eine kompakte Dokumentation auf hohem Niveau, unverzichtbar für jeden, der sich in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit der Mobilitätswende ernsthaft auseinandersetzt. Die Autorin und die Autoren werden angeführt von Peter Hennicke; der emeritierte Hochschul-Professor hat sich ein Berufsleben lang in Gremien und Kommissionen mit Umwelt- und Energiethemen befasst, viele Jahre davon an der Spitze des renommierten Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie.

Verlagerung auf klimafreundliche Verkehrsmittel

Die Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes ist geprägt von dem Nachweis der Versäumnisse der Verkehrspolitik, der die Wissenschaftler immer wieder „Mutlosigkeit” bescheinigen. „Von einer zielgerichteten Strategie für die Mobilitätswende kann keine Rede sein” ist das Fazit zur Politik der amtierenden Bundesregierung. Die Autoren erkennen zwar an, dass es Verbesserungen zur Stärkung des Umweltverbundes von Radverkehr, Bus und Bahn gebe, doch es fehle „die explizite Abkehr von der bisherigen Förderung des Automobils”. Eine gezielte Politik in diese Richtung sei nicht „nicht gewollt und wird darum auch nicht gemacht”. Ohne eine Abkehr von der „Autopfadabhängigkeit” aber werde eine wirkliche Mobilitätswende nicht stattfinden. Gewarnt wird vor einer „Verhinderungs- und Bremspolitik” aus vorgeblichem Schutz für die deutsche Wirtschaft. Dieses Argument verkenne, dass inzwischen ein „globaler Wettlauf in Richtung Klimaneutralität” begonnen habe.

© oekom Verlag

Das Buch stellt weiterhin klar, dass Verkehrsverlagerung auf energieeffiziente und klimafreundliche Verkehrsmittel des Umweltverbundes, zu denen Busse und Bahnen des ÖPNV, Fahrräder und das Zufußgehen gehören, nur ein Aspekt von mehreren für nachhaltige Mobilität sei. Eine massive Reduzierung der Treibhausgasemissionen sei nur denkbar, wenn zugleich die Vermeidung von Verkehr durch geringeres Verkehrsaufkommen und kürzere Wege erreicht werde. Dazu müsste außerdem die spezifische Effizienz von Fahrzeugen und Systemen insbesondere durch die Antriebswende hin zu Elektromobilität verbessert werden. Größere Effizienzgewinne seien durch die Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene zu erreichen; die Bahn sei hinsichtlich des Energieverbrauchs bei der Beförderung von Personen und Gütern um vier- bis fünfmal effizienter als Pkw und Lkw.

Kommunen als „Mutmacher und Treiber der Mobilitätswende”

Als zentralen Aspekt der Mobilitätswende beschreiben die Autoren außerdem die Verkehrsgerechtigkeit. Mobilität für alle im Sinne des Buchtitels sei nur vorstellbar über eine „gezielte Entprivilegierung der Automobilität und die massive Förderung eines für jeden erschwinglichen Umweltverbunds”. Erforderlich dafür seien kompakte Stadt- und Raumentwicklungen, die kurze Wege ermöglichen. Praktikable Alternativen zum Auto seien mit einem massiven Ausbau der Schienennetze und der Angebote im ÖPNV zu erreichen. So könnten flächendeckende Mobilitätsleistungen über eine einheitliche, Anbieter übergreifende App geschaffen werden. Ausdrücklich werden Sharing und Ridepooling bzw. On-Demand-Verkehre mit einbezogen. Mobilität von Tür zu Tür ohne eigenes Auto für mehr Menschen sei eine Kernvoraussetzung der Verkehrsverlagerung.

Angesichts der bislang ausbleibenden Veränderungsbereitschaft der Politik empfiehlt das Buch den Kommunen sich zum „Mutmacher und Treiber der Mobilitätswende” zu machen. Umsteuern und Kurswechsel, „auch wenn der Rückenwind durch die Bundesebene vorerst nur ein Lüftchen ist”. Kommunaler Gestaltungsspielraum könne vor Ort die Ansprüche der Menschen an lebenswerte Stadtqualitäten und ein gutes Wohnumfeld in den Mittelpunkt stellen. Mobilität schaffen, die „ökologisch verträglich, sozial verpflichtet und gerecht sowie ökonomisch effizient” sei – für die Einwohner, die Umweltqualität und die Kommune. Neue Lösungswege müssten in Experimenten, Laboren und Modellversuchen systematisch erprobt und analysiert werden. Das könne „Lust auf mehr Mobilitätswende” machen und positiven Druck auf die Bundespolitik ausüben. Dass das keine Illusion sein muss, beweisen „acht Hoffnungszeichen” – ausführlich beschriebene Beispiele für erste Schritte zur nachhaltigen Mobilität, oder, wie es die Autoren formulieren, „erste Erfolgsgeschichten der erforderlichen Mobilitätswende”.

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