Position
Berlin – 22. Dezember 2020
Bilanz und Ausblick zur Jahreswende stehen unter dem Diktat der Corona-Pandemie. Sie beschränkt unsere Mobilität hautnah und verstellt vielfach den Blick auf den Klimaschutz. Gleichwohl: Im abgelaufenen Jahr ist zumindest ein wachsendes öffentliches Bewusstsein für die drohenden Gefahren der Erderwärmung zu beobachten. Doch immer dringlicher wird es, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Anfang Dezember war es nach zehnjähriger Bauzeit soweit: In Berlin wurde der neue Abschnitt der U-Bahnlinie U5 zwischen Alexanderplatz und Hauptbahnhof quer durch das historische Zentrum in Betrieb genommen. Sich freuen oder gar groß zu feiern, war Pandemie-bedingt nicht angesagt. Den Nörglern, die das Halb-Milliarden-Projekt bereits schnell klein zu reden versuchten, lässt sich entgegenhalten: U-Bahnen werden nicht für morgen und übermorgen gebaut, sondern sie sollen auch noch in hundert Jahren fahren. Die Hauptstadt leistet sich ein zusätzliches Mobilitätsangebot, das als Teil des Ganzen für viele Menschen zur Alternative zum Auto werden kann.
Multimobilität im Verbund
Es sind vorerst überwiegend die Ballungszentren, die sich konsequent an die Verkehrswende heranwagen, leiden sie doch immer mehr unter dem ausufernden Autoverkehr. In Hamburg wurde 2020 das Ziel formuliert, dass jeder Bürger innerhalb von fünf Minuten von seiner Haustür entfernt ein öffentliches Verkehrsangebot benutzen kann. Es ist die Idee der intermodalen Multimobilität – vom Zusammenspiel innovativer Bedienformen im Verbund mit Bussen und Bahnen als dem Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs. Doch auch in ländlichen Regionen gibt es neue Versuche, etwa durch die Verbindung von ÖPNV und Taxi flächendeckende Angebote zu schaffen, die den Pkw entbehrlicher machen.
Die Politik war schon vor Corona auf dem Weg zur Mobilitätswende. Richtungweisend waren vor allem die im Laufe des Jahres verabschiedeten Veränderungen des Gemeindeverkehrsfinanzierungs- und des Regionalisierungsgesetzes, die beide in nicht unerheblichem Umfang künftig mehr staatliche Mittel für attraktiven Nahverkehr aus dem Staatssäckel sichern. Die Pandemie zwang dann die Regierungen, den etwas altmodisch klingenden Begriff der Daseinsvorsorge neu zu beleben. Der massive Rückgang der Fahrgastzahlen bei Bussen und Bahnen bedrohte die zumeist kommunalen Verkehrsunternehmen mit dem Ruin. Die politische Erkenntnis, dass der ÖPNV für unsere Gesellschaft „systemrelevant” ist, führte zum „Rettungsschirm” mit umfassender finanzieller Hilfe. Dazu werden sich die Länder auch im neuen Jahr durchringen müssen und haben das zum Teil bereits angekündigt.
Fragezeichen über ÖPNV nach Corona
Wie sich das Fahrgastaufkommen 2021 entwickeln wird, ist kaum zu sagen. Wenn es gelingt, mit wachsender Zahl an Impfungen wieder einen Normalzustand herzustellen, wird man abwarten müssen: Wie viele Pendler stellen sich weiterhin in den Stau? Wie viele holen das Fahrrad auch im Winter aus dem Keller? Wie viel bleibt vom Home Office übrig? Vielleicht wird es einen erhöhten Mobilitätsbedarf geben, um Besuche nachzuholen oder endlich wieder Ausflüge zu machen. Die Verkehrsunternehmen werden ihre Märkte genau beobachten und ihre Tarifstrukturen – wie schon begonnen – kundenfreundlich dem Smartphone-Zeitalter anpassen müssen.
Nach Jahre langem Stillstand kommen die Themen Klimaschutz und Verkehrswende mehr und mehr auch in der Wirtschaft in Schwung. Mineralölkonzerne wollen dem Erdöl abschwören, die Autoindustrie sieht ihre Zukunft im E-Auto mit Batterie-Antrieb, die Potenziale von Wasserstoff und Brennstoffzellen wecken weltweit Initiativen. Die ÖPNV-Branche ist bekanntlich mitten drin und ordert bereits emissionsfreie Busse. Die EU macht dabei mit ihrer Clean Vehicle-Richtlinie Druck auf die Beschaffungsquoten: Nun ist der Bund gefordert, die Brüsseler Vorgaben in einen unternehmerisch sinnvollen Rechtsrahmen zu gießen.
Auto-mobiler Tanz auf dem Vulkan
Fünf Jahre nach dem Abschluss des Pariser Klimaschutzabkommens haben sich die EU-Regierungschefs auf ihrer Ministerrats-Sitzung im Dezember auf ein neues Klimagesetz geeinigt. Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Ein hoch anspruchsvolles Ziel, das kaum allein auf dem Gesetzgebungsweg zu erreichen ist. Wichtiger wird es, die Bürger zu motivieren. Jeder einzelne wird seinen Beitrag leisten müssen. Bisher ist das weithin Fehlanzeige, trotz regelmäßiger Fernsehbilder von ins Meer stürzenden Eisbergen und überfluteten Stadtlandschaften. Stets und überall Auto-mobil zu sein, ist in Sachen Klima fast schon ein Tanz auf dem Vulkan. Nicht viel anders, als gedanken- und bedenkenlos auf Glühweintour durch die Corona-Hotspots zu gehen.
ÜBER DEN AUTOR
Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.
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