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BRENNPUNKT VERKEHRSWENDE

HEISSE LUFT AUS DEM ELFENBEINTURM

Position
Berlin – 29. April 2019

Aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft kommt eine kühne These: Mobilität von morgen funktioniere ausschließlich mit dem Elektroauto und ganz ohne Bus und Bahn. Beim näheren Hinsehen ist dies die Beschreibung einer Reise in eine Sackgasse.

Unter der flotten Überschrift „Das Auto hat die besten Zeiten noch vor sich” legte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ein gewaltiges Ei in die Osterausgabe. Die Professoren Reiner Eichenberger (Uni Freiburg/Schweiz) und David Stadelmann (Uni Bayreuth) durften das hohe Lied eines einzigartigen elektromobilen Individualverkehrs singen. Busse und Bahnen würden überflüssig, und Schienenwege könnten für selbst fahrende Autos umgebaut werden.

Nein, die Autoren haben dies offensichtlich nicht als Satire verstanden. Obwohl es da heißt: Privater Autobesitz bleibe für Pendler attraktiv; autonome Fahrzeuge würden für mehr Verkehr sorgen, weil sie mehrfach zwischen Wohnorten und Arbeitsstätten pendeln müssten. Überlegungen zu Sammeltaxis, neudeutsch „Ride Sharing”? Nicht bei den Professoren. Oder: Taktverdichtungen im ÖPNV würden „enorme Systemrisiken bergen”, weil solche Systeme „besonders anfällig” seien für „Wetterkapriolen, Streiks oder gar Terrorismus”. Und: Würde der Ökostrom nicht von den Bahnen verbraucht werden, könnte er „für anderes” verwendet werden. Garniert wird das mit kühnen Ansagen zum „Kosten-Nutzen-Kalkül”, ohne auch nur eine einzige Zahl, geschweige denn eine Berechnung zu liefern. Unbeantwortet bleibt so auch, wie die jährlich 10 Milliarden Fahrgäste von Bussen und Bahnen künftig ohne ÖPNV-Angebot in Elektroauto-Flotten gepfercht werden.

Zahlen satt dagegen bietet die nachösterliche „Grafik des Tages” im Handelsblatt. Sie macht anschaulich: Während allgemeine Steuern ebenso wie Lebenshaltungskosten seit 2010 kräftig gestiegen sind, ist das Autofahren vergleichsweise kaum teurer geworden. Der Straßenverkehr habe seinen Anteil an Treibhausemissionen seit 1990 um vier Prozent gesteigert, der Benzinverbrauch in Deutschland sei seit 2000 nicht nennenswert gesunken. „Verschonte Autofahrer” kommentiert das Blatt und empfiehlt der Politik „preisliche Lenkungsmechanismen”, wenn es ihr mit den Klimazielen ernst sei.

Auf dem E-Roller zur Passagier-Drohne

Mal sehen, ob die Politik nicht nur für die Verkehrswende ist, sondern auch etwas dafür tut. Immerhin, der Bundesverkehrsminister kommt zu seinen Auftritten zwar mit einem „dicken Auto”, doch das hat Elektroantrieb. Da mag man Andreas Scheuer nachsehen, dass er öffentlichkeitswirksame Auftritte auch dann schätzt, wenn sie nicht gerade überzeugende Beispiele für nachhaltige Mobilität von morgen repräsentieren: Passagier-Drohnen als „Lufttaxis” und der Elektroroller, für den der Minister sogar den Helm aufsetzte. Dass Scheuer den „gesunden Menschenverstand” bemühte, um die Überlegungen seiner Experten zu Tempolimits auf der Autobahn abzuwatschen, hat seine Popularität nicht gesteigert. Die „Zeit” beschimpfte ihn bereits als „Straßenkrieger”, und immer lauter tönt auch an anderer Stelle die Aufforderung an die Politik: Tut endlich etwas für die Verkehrswende. Dem ist nichts hinzu zu fügen.

Foto: Eberhard Krummheuer

Über den Autor

Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.

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