Future
Berlin – 25. April 2019
Bislang hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bundesweit gegen die Luftreinhaltepläne von 35 Städten Klage eingereicht – als erste Stadt gelang es Wiesbaden im Februar dieses Jahres, den Streit beizulegen. Die DUH erklärte dem Verwaltungsgericht, dass die im fortgeschriebenen Luftreinhalteplan aufgeführten Maßnahmen die Stickstoffdioxidbelastungen bis zum Jahr 2020 unter die vorgeschriebenen Grenzwerte herabsenken werden. Seither gilt der Plan für die restlichen Kommunen auf der Anklagebank als Blaupause.
Der Druck auf die angeklagten Kommunen stieg immens, als das Leipziger Verwaltungsgerichtsurteil im Februar 2018, Fahrverbote für zulässig erklärte. In Wiesbaden nutzte das Verkehrsdezernat das Jahr bis zur Verhandlung, um ein 49-Punkte-Paket zur Luftreinhaltung zu schnüren – mit Erfolg. Da der durchschnittliche Immissionsanteil des Kfz-Verkehrs an der städtischen NO2- Belastung bei rund 70 Prozent liegt, setzte das Dezernat genau an diesem Punkt an. Bei der Zusammenstellung der Vorhaben bedienten sich die Verantwortlichen größtenteils am Green City Plan der Landeshauptstadt. Das Konzept wurde rechtzeitig im Sommer 2018 fertiggestellt und beschreibt Maßnahmen zur Reduzierung der Luft- und Lärmemissionen im Stadtkern. Die Erarbeitung des Green City Plans wurde im Rahmen des Sonderprogramms des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit einer hundertprozentigen Förderung unterstützt.
Klimafreundlicher ÖPNV
Neben der Hardware-Nachrüstung der kommunalen Fahrzeugflotte zählt auch die kurzfristige Filternachrüstung der 85 Busse des städtischen Mobilitätsdienstleisters ESWE Verkehr von Euro 5 auf Euro 6 zum Maßnahmenpaket. Auf rund 15.000 Euro belaufen sich die Kosten je Bus – finanziert werden die Nachrüstungen voraussichtlich größtenteils von Fördermitteln des Bundes und des Landes Hessen. Mittelfristig hat sich die Landeshauptstadt zum Ziel gesetzt, Deutschlands erste Stadt mit emissionsfreiem ÖPNV zu sein. Die Elektrifizierung der gesamten Busflotte ist da obligatorisch. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird die Anschaffung der ersten 56 Elektrobusse mit 14,5 Millionen Euro fördern. Die Ausschreibungsunterlagen fordern einen Generalunternehmer für Fahrzeuge, Ladeinfrastruktur und das Betriebshof-Managementsystem. Bisher wurde in Deutschland als Einzelposten lediglich eine bestimmte Anzahl an Bussen ausgeschrieben.
Einzigartig sind auch die Anforderungen an die Busse: Sie sollen eine Reichweite von rund zweihundert Kilometern auf die Straße bringen – sogar bei bergigen Linienverläufen und voller Heizleistung. Zusätzlich nehmen ab Sommer 2019 die ersten Brennstoffzellenbusse des Projekts „H2 Bus Rhein-Main – emissionsfreier Nahverkehr in der Metropolregion" den Betrieb auf. Die Fahrzeuge werden über die EU-Förderinitiative „Joint Initiative for hydrogen Vehicles across Europe (JIVE)" finanziert, weitere Fördermittel der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz ermöglichen den Bau einer Wasserstoff-Tankstelle auf dem Betriebsgelände von ESWE Verkehr. Sie wird mit Wasserstoff aus dem Mainzer Energiepark beliefert – Windräder produzieren den notwendigen Strom.
Grundsätzlich soll der ÖPNV durch die Vergrößerung der Busflotte, mehrere neue Linien sowie das Einrichten separater Busspuren massiv gestärkt werden. Zudem soll ein 365-Euro-Ticket Autofahrer zum Umstieg bewegen. Um den Nahverkehr für die steigenden Fahrgastzahlen zu wappnen, plant ESWE Verkehr abseits des Luftreinhalteplans gemeinsam mit Mainzer Mobilität, Rheingau-Taunus-Verkehrsgesellschaft und dem Rhein-Main-Verkehrsverbund eine moderne Stadtbahn. Sie soll künftig von der Landeshauptstadt Mainz über Wiesbaden bis in die benachbarte Pendlerhochburg Rheingau-Taunus-Kreis verkehren.
Ausgedehntes Radwegenetz
Lange galt Wiesbaden als fahrradunfreundlichste Stadt Deutschlands. Der Anteil am Modal-Split liegt noch immer unter 6 Prozent, doch das soll sich durch die Umsetzung des Luftreinhalteplans ändern. Wichtigste Maßnahme ist die Realisierung des „Grundnetzes 2020“, eine Radverkehrsinfrastruktur, abgeleitet aus dem „Zielnetz 2030“ des Radverkehrskonzepts. Das Papier hat zum Ziel, den Radverkehrsanteil zu steigern und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Mit der Umsetzung hat das Verkehrsdezernat bereits begonnen: Neue Radverbindungen wurden eröffnet und Einbahnstraßen für den Radverkehr geöffnet sowie mit Piktogrammen markiert. Geschützte Radspuren sorgen zudem für mehr Sicherheit. Bereits im Dezember 2018 richtete das Verkehrsdezernat im Stadtgebiet neue Umweltspuren ein, diese sind dem Rad- und Busverkehr vorbehalten. Im Sommer 2018 fiel der offizielle Startschuss für das Fahrradverleihsystem der ESWE Verkehr. Seitdem stehen 500 Räder an 50 Stationen zur Miete bereit. Das Sharing-System kooperiert mit dem Leihrad-Angebot der Mainzer Mobilität und ist somit kompatibel mit dem dortigen System. Auch das Carsharing-Angebot soll in der Landeshauptstadt weiter ausgebaut werden. Rund 300 Stellplätze stehen den Anbietern künftig zur Verfügung, die Hälfte soll mit Elektrofahrzeugen bestückt werden. Diese sind seit Anfang 2019 im gesamten Stadtgebiet von Parkraumgebühren befreit.
Modernes Parken
Um die Elektromobilität weiter zu fördern, will Wiesbaden einen E-Mobility-Hub in einem neuen Park-and-Ride-Parkhaus errichten. Der multimodale Knotenpunkt soll innerhalb der kommenden zwei Jahre im Zuge der Errichtung des siebengeschossigen Parkhauses mit rund 930 Stellplätzen entstehen. Für sämtliche E-Mobile sollen dort kostenfrei Parkplätze sowie verschiedene Dienstleistungen angeboten werden. Zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs in der City ist bis 2020 die Ausweisung von rund 2.000 Park-and-Ride-Parkplätzen vorgesehen. Ein dicht getakteter, vergünstigter Shuttle-Busverkehr in die Innenstadt ergänzt das Konzept. Der Parkraum in der erweiterten Innenstadt soll hingegen flächendeckend bewirtschaftet werden – kostenlose Parkplätze soll es dann ausschließlich für Anwohner geben. Das Verkehrsdezernat kündigte bereits den Rückkauf von privaten Parkhäusern sowie die Entwicklung eines Parkleitsystems per App an, um die Suche nach freien Parkplätzen zu erleichtern und den entsprechenden Verkehr zu reduzieren.
„Dass Wiesbaden als erste Stadt in Deutschland um Fahrverbote herumkommt, zeigt, dass wir mit unserem Sofortpaket auf dem richtigen Weg sind. Das heutige Urteil bedeutet jedoch keinesfalls, dass wir jetzt die Füße hochlegen können. Wir werden unverändert mit Hochdruck daran arbeiten, die zahlreichen Maßnahmen des Luftreinhalteplans, wie etwa das 365-Euro-Ticket, mehr Radwege oder neue Park-and-Ride-Parkplätze vollumfänglich umzusetzen. Diese Maßnahmen werden zu Veränderungen führen und auch zusätzliches Geld kosten. Wir müssen und werden die Verkehrswende in Wiesbaden konsequent weiter vorantreiben, um unsere Stadtluft sauberer zu bekommen und die Aufenthaltsqualität unserer Innenstadt deutlich zu erhöhen. Das wird für alle eine Kraftanstrengung, die sich am Ende aber lohnen wird.“
Andreas Kowol, Dezernent für Umwelt, Grünflächen und Verkehr
Das könnte Sie auch interessieren:
Im Schatten öffentlichkeitswirksamer Themen wie Maut, Fahrverbot oder Fahrzeugumrüstung arbeitet die Bauindustrie an Innovationen zur Verbesserung der Luftqualität. Neuartige Pflastersteine reinigen nicht nur sich selbst, sondern auch die Luft: Bis zu 12 Prozent der giftigen Stickoxide verwandeln sie in Nitrat.
weiterlesen
Gemeinsam mit Logistikunternehmen und Universitäten entwickeln Städte und Verkehrsbetriebe neuartige Konzepte, um die Paketflut in den Städten bewältigen zu können. Ralf Bogdanski, Professor für Intelligente Verkehrsplanung an der TH Nürnberg, bewertet im Blogbeitrag die aktuellen Entwicklungen.
weiterlesen
Für eine effizientere und umweltfreundlichere Mobilität muss auch beim Planen und Bauen umgedacht werden. Im Interview erklärt Dieter Babiel, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, welche Lösungen er für zielführend hält.
weiterlesen