Position
Berlin – 28. Mai 2020
Die Einschränkungen der Corona-Krise haben die Fahrgastzahlen in Busse und Bahnen dramatisch schrumpfen lassen. Doch auf Dauer wird klimaneutrale Mobilität nur mit dem ÖPNV funktionieren.
Aus den Helden wurden ganz schnell scheinbar Schmuddelkinder. Erst zählten Busfahrer und Lokführer als vorderste Repräsentanten der Verkehrsunternehmen zu den unverzichtbaren, aufopferungsbereiten Geistern in der Pandemie, die in den Medien in einem Atemzug mit medizinischem Personal und Supermarktkassiererinnen gefeiert wurden. Doch das gebremste öffentliche Leben führte zwangsläufig dazu, dass die Angebote des ÖPNV weithin ungenutzt blieben. Hinzu kam dann vielfach die Furcht, sich trotz der vielen leeren Sitze in Bus und Bahn anzustecken, und schon war in hämischen Kommentaren von der Renaissance des Autos zu lesen. Und sogleich wurde Entrüstung formuliert, dass die von Verlusten gebeutelten Unternehmen nun auch noch Geld vom Staat verlangen. Dabei bleibt leider oft unberücksichtigt, dass das eine – nämlich die angeblich erhöhte Ansteckungsgefahr in Bus und Bahn – bislang nirgendwo wissenschaftlich belegt wurde. Während das andere – die massiv fehlenden Fahrgeldeinnahmen – sich real und messbar bei den Verkehrsunternehmen bemerkbar macht.
Rettungsschirm für die Daseinsvorsorge
Immerhin, die Verkehrsministerkonferenz – und inzwischen auch die Finanzminister – der Bundesländer erkannte, dass die Branche mit ihren staatlichen, halbstaatlichen und privaten Unternehmen in der Virus-Krise im ÖPNV nichts anderes leistet als die ihr zugewiesene öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge – und dafür nun einen Rettungsschirm benötigt. Doch auch der Schienengüterverkehr braucht – wie so viele Zweige der Wirtschaft – nach dem weit gehenden Zusammenbruch des europäischen Geschäfts erhebliche finanzielle Hilfen für den Neubeginn nach den Monaten des Stillstandes. Nur so überhaupt wird er die höchst anspruchsvollen Ziele der Klimaschutzpolitik wieder und weiter ansteuern können. Auch dies ist – wenn schon nicht im klassischen Sinne des Begriffes – eine Form von Daseinsvorsorge. Sogar für kommende Generationen als Beitrag für die Mobilitätswende.
Verkehrsunternehmen suchen Personal
In den Diskussionen um die Zeit nach Corona mehren sich die Stimmen, die von Deutschland und besser noch von Europa einen vielseitigen Neuanfang fordern, wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich, technologisch. Mit mehr Mut zum schnellen Handeln, mit der Konsequenz umfassender Veränderung gerade auch im Verkehrssektor. Zwei konkrete Beispiele. Erstens: Zwei Verkehrspolitiker der Grünen fordern, statt der Autoindustrie Abwrackprämie zu zahlen, besser die staatliche Förderung von Elektrobussen auszubauen. Zweitens: In der beginnenden Rezession droht Arbeitslosigkeit in noch nicht bezifferbarem Ausmaß, doch Beschäftigungschancen gibt es in der Branche der Busse und Bahnen. Sie sucht bekanntlich händeringend Personal.
Neue alte Normalität herstellen
Und die Jobs im ÖPNV sind krisensicher. Spätestens wenn die Wirtschaft wieder mit voller Kraft läuft und das Infektionsrisiko mit immer weniger neuen Covid19-Erkrankten weiter gesunken ist, werden die meisten Kunden zurückkehren, zu neuer alter Normalität – wohl wissend, dass das eigene Auto bei normalem Verkehrsaufkommen doch wieder nur in den Stau und in die mühselige Parkplatzsuche fährt. Noch enger wird es für den Individualverkehr dort, wo die Städte – beispielsweise Berlin – von ihren breiten Straßen in der Pandemie schnell Spuren für Radler abgetrennt haben. Die Begeisterung fürs Fahrrad, die zurzeit überall zu spüren ist, wird aber wieder zurück gehen, wenn das Wetter im Herbst und Winter schlechter wird. Die Süddeutsche Zeitung formulierte denn auch mit leichter Ironie: „Die Verkehrswende lässt sich nicht in die Bikegarage verbannen.”
Fazit: Der Ausbau von Infrastrukturen und Fahrzeugkapazitäten sowie die Verwirklichung innovativer Ideen für den ÖPNV bleiben oberste Ziele für die Mobilitätswende und gegen die Erderwärmung. Daran wird Corona überhaupt nichts ändern.
ÜBER DEN AUTOR
Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.
Das könnte Sie auch interessieren:
Rheinland-Pfalz macht den ÖPNV zur Pflichtaufgabe. Mit dem Beschluss eines neuen Nahverkehrsgesetzes hat das Landeskabinett Anfang Mai den Weg zu einer veränderten Organisationsstruktur und einem landesweiten attraktiven Nahverkehr aus einem Guss geebnet.
weiterlesen
Ob fliegend oder selbststeuernd: Kultautos aus Filmen und Serien stehen für manch eine Zukunftsvision der Automobilbranche. Nun könnte sich ein selbstfahrendes Modell aus dem Land der berühmtesten Filmindustrie in nächster Zukunft als Marktführer erweisen.
weiterlesen
In Arizona sind fahrerlose Taxis unterwegs, in Singapur ist die halbe Stadt ein Testfeld für autonomes Fahren und Volkswagen hat für 2025 kommerzielle Flotten von hochautomatisierten Fahrzeugen angekündigt. Doch noch sind wichtige rechtliche Rahmenbedingungen zu klären – auch für den Einsatz im öffentlichen Nahverkehr.
weiterlesen