Position
Berlin – 16. September 2021
Während die Wahlkämpfer das Thema Klimaschutz im Ungefähren beließen und dies auch in den Sondierungsgesprächen der Ampel-Parteien nicht konkreter wurde, schwant Fachpolitikern in Bund und Ländern zunehmend der Ernst der Lage. Ist es wirklich erst fünf vor Zwölf?
„Wir müssen aus der Sofaecke raus und mit viel Wucht loslegen.” Diese Parole gab VDV-Präsident Ingo Wortmann Anfang September in Düsseldorf auf dem „Mobilitätskongress” des Verbandes aus. Auf der ersten Präsenzveranstaltung nach langer Pandemiezeit war das beherrschende Thema weniger Corona, vielmehr der Klimaschutz. In den Verkehrsunternehmen wächst in großen Schritten die durchaus Unbehagen einflößende Erkenntnis, dass die anspruchsvollen politischen Ziele zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen zwar erreichbar erscheinen, doch das nur mit enormen Kraftanstrengungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Das klingt immer so abstrakt. Es lässt sich aber sehr konkret untermauern: Verdopplung der Fahrgäste im öffentlichen Verkehr, Steigerung des Schienengüterverkehrs auf 25 Prozent Marktanteil – das kann nur funktionieren, wenn die Infrastruktur für den Verkehr in großem Stil und äußerst zügig ausgebaut wird. Betriebshöfe und Versorgungsinfrastruktur für Elektrobusse, neue Straßenbahnlinien, Container-Terminals, Gleisanschlüsse für die Industrie, neue Schienenstrecken, Bahn-Elektrifizierung, um nur einige Punkte zu nennen. Hinzu kommt: Wer in den anvisierten Dimensionen mehr transportieren soll, Mensch und Gut, braucht dafür mehr, viel mehr Fahrzeuge vom On-Demand-Kleinbus über Containertragwagen bis zum Hochgeschwindigkeitszug.
Das alles kostet viel Geld. Enak Ferlemann, der kundige und engagierte Eisenbahnexperte des Bundesverkehrsministeriums, bemühte sich auf dem Mobilitätskongress zu versichern, es seien genug Mittel auf Jahre hinaus da. Zweifel seien angesichts der gigantischen Aufgaben erlaubt. Doch trotz der hohen, in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Bereitschaft von Bund und Ländern für Verkehrsinvestitionen ist Geld bekanntlich nicht alles. Noch ein Zitat von Ingo Wortmann verdeutlicht ein nicht zu unterschätzendes Problem – die kaputt gesparten Behörden: „Wir brauchen neue Beamte, die rechtssichere und gerichtsfeste Förderbescheide schreiben können.” Und nicht nur das: Viele Projekte verstauben in den Schubladen, weil sie nicht baureif geplant werden können, mangels qualifiziertem Personals. So werden Mittel in Millionenhöhe nicht abgerufen, weil die Realisierung nicht vorankommt.
Das größte Hindernis in der Zukunftsentwicklung liegt aber bei denen, für die der Klimaschutz eigentlich „gemacht” werden soll. Bei den Bürgern. Unsere Gesellschaft, seit den 1968-ern mehr und mehr auf Selbstverwirklichung und Spaßhaben getrimmt, möchte weiter im Status Quo verharren, der in den letzten Jahrzehnten doch so angenehm war. Das böse Erwachen kommt nur sporadisch: Wenn, wie kürzlich, Berechnungen bekannt werden, dass für die Erreichung der Klimaziele jetzt der Benzinpreis um 70 Cent pro Liter steigen müsste. Oder wenn in der Nachbarschaft – aktuelles Beispiel ICE-Strecke Hannover - Bielefeld – plötzlich ein großes Bauvorhaben diskutiert wird. Klimaschutz ja, aber bitte keine Maßnahmen vor meiner Haustür.
Fachpolitiker und Verkehrsunternehmen erkennen immer deutlicher, dass die Gesellschaft viel zu oft quer denkt und mit viel zu vielen Einspruchsrechten gegen Zukunftsplanungen ausgestattet ist. Damit wird der so hoch geschätzte „Bürgerwille” zum eigentlichen Verhinderer einer sinnvollen, für das Überleben der Generationen notwendigen Ökologie. Das zu ändern, muss bei jedem einzelnen anfangen. Es wird entscheidend aber sein, gesellschaftlichen Nutzen und soziale Verantwortung stärker zu formulieren und zu fordern. In öffentlichen Diskussionen wie in politischen Entscheidungen muss es gelingen, auf breiter Front mit dem Blick auf das Ganze Überzeugungen für die Schritte zur Verkehrswende herzustellen. Die auf dem Mobilitätskongress angetretenen Politiker sind dafür auf einem guten Weg. Sie machten deutlich, dass sie in Sachen Klimaschutz als Gemeinsamkeit aller Demokraten kämpfen wollen, um zügig zur Sache zu kommen. Denn der Erhalt einer lebenswerten Erde taugt nicht für Parteiengezänk. Nur Mut!
ÜBER DEN AUTOR
Eberhard Krummheuer fährt seit Kindesbeinen mit Bussen und Bahnen. Erst mangels Familienauto, dann trotz Familienauto. Der öffentliche Verkehr beschäftigt ihn sein Berufsleben lang als Journalist, viele Jahre als Redakteur der Wirtschaftszeitung „Handelsblatt”. Nun kommentiert er für Deutschland mobil 2030 aktuelle Entwicklungen in Sachen Mobilität und Logistik.
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