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Berlin – 23. September 2021
Klimaschutz wird zur großen politischen Herausforderung für die nächste Bundesregierung ganz gleich welcher Koalition. Abgeordnete und Minister begreifen zunehmend den Ernst der Lage und kündigen verschärften Einsatz für die Verkehrswende an. Das zeigte sich deutlich auf dem VDV-Mobilitätskongress Anfang September in Düsseldorf.
Alarmierende Tendenzen stellte NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst in seiner Eröffnungsrede fest: Im vergangenen Jahr seien in Nordrhein-Westfalen 100.000 PKW mehr zugelassen worden als im – Corona-freien – Jahr zuvor. Diese Menschen „haben wir noch lange nicht wieder im ÖPNV”, sorgte sich der Politiker und sprach sich für eine ambitionierte Bahn- und ÖPNV-Politik aus: „Ihre Branche ist das Rückgrat sauberer Mobilität.” Die Politik müsse „weg vom Auto kommen”: Wenn sich durch die Klimaschutzanstrengungen „die Herausforderungen ändern, dann muss sich auch die Politik ändern.” Tendenziell hatte sich zuvor auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, live zugeschaltet aus München, dafür ausgesprochen. Nach dem „harten Nackenschlag der Pandemie wollen wir das Vertrauen in den Öffentlichen Verkehr zurückgewinnen.” Er verwies auf die Neugestaltung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes mit der Verdopplung der Fördermittel von derzeit 1 Mrd. Euro im Jahr. Im laufenden Jahr hätten sich bereits 266 ÖPNV-Projekte für Finanzierungshilfen angemeldet, doppelt so viele wie 2020. Zudem seien die Mittel im Regionalisierungsgesetz für den Schienenpersonennahverkehr weiter erhöht worden.
Immer deutlicher wird, dass für die Realisierung der Mobilitätswende auf allen Ebenen zu wenig getan wird. „Wir müssen schneller planen, mehr bauen und die Bürger früher einbeziehen”, forderte Arndt Klocke, Sprecher der Grünen für Verkehr, Bauen und Wohnen im Düsseldorfer Landtag. „Das ganz große Drama”, sah Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, darin, dass bei der Bevölkerung die Akzeptanz für Eisenbahnverkehr grundsätzlich hoch sei, aber bei den Betroffenen konkreter Projekte vor Ort massiv Widerstand entwickelt würde. „Da geht es um Einzelinteressen, nicht um das Gemeinwohl. Das müssen wir ein Stück zurückholen, statt ewig zu diskutieren.”
Eine Entwicklung, die Anke Rehlinger, Wirtschafts- und Verkehrsministerin des Saarlandes, mit Sorge auch in vielen Rathäusern insbesondere in den ländlichen Regionen beobachtet. Es gehe darum, Neu- und Ausbauprojekte für die Schiene nicht nur unter dem Aspekt des Klimawandels zu diskutieren, sondern „eine Gesamtrechnung aufzumachen” und die wirtschaftlichen sowie die strukturpolitischen Wirkungen solcher Vorhaben darzustellen. Hier gebe es eine „übergeordnete Verantwortung”, die von ehrenamtlichen Kommunalpolitikern häufig nicht gesehen werde. Verkehrspolitiker in Bund und Ländern seien gefordert, über die Parteigrenzen hinweg zusammen zu agieren, befand auch Christof Rasche, FDP-Fraktionschef im NRW-Landtag: „Wir müssen eine Einheit bilden, statt uns gegenseitig zu blockieren. Sonst fahren wir vor die Wand.”
Mehr Druck für die Mobilitätswende wünscht sich auch VDV-Präsident und MVG-Chef Ingo Wortmann. Die Politik habe viel getan für den ÖPNV, doch „nun müssen wir loslaufen”. „Wir haben kein Erkenntnis- und kein Konzept-Defizit, aber ein Umsetzungsdefizit.” Das beginne in den Behörden: Dort müsse mehr kundiges Personal eingestellt werden, um rechtssichere, gerichtsfeste Bescheide zu erstellen. Für die anvisierte Verdopplung der Fahrgastzahlen sei es notwendig, mit weiteren hohen Investitionen in Fahrzeuge die Transport-Kapazitäten zu schaffen. Und in den Städten brauche der ÖPNV im Straßenraum mehr Vorrang für Bus und Bahn.
Mehr Schiene statt Straße ist auch im Schienengüterverkehr ein zentrales Problem, schilderte VDV-Vizepräsident Joachim Berends, Chef der Bentheimer Eisenbahn AG. Bei Gewerbegebieten und Industrieparks würden Planer vielfach gar nicht über einen Gleisanschluss nachdenken. Hier fehle noch der „gesellschaftliche Konsens” zwischen allen Akteuren in diesen Märkten: „Auch die Industrie muss sich für die Schiene entscheiden.” Dabei gehe es nicht etwa um ein Kartell zugunsten der Eisenbahn, sondern um die vernünftige Vernetzung der Verkehrsträger.
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